Moderne Musik
Zeitgenössische MusikMit den beiden einschlägigen epochalen Begriffen "Fin de siècle" auf Französisch und "Moderne" auf Deutsch wird diese typische Mehrdeutigkeit zwischen Ende und Anfang deutlich. die 1865 in München ihre Uraufführung hatte und wie kein anderes Stück die weitere Geschichte der Komposition bis ins zwanzigste Jahrtausend hinein geprägt hat, intensivierte sich der damit verbundene Einsatz traditioneller kompositorischer Parameter, insbesondere in der harmonischen Komposition:
Das Sättigen des Klangs mit Disharmonien war in den Arbeiten der modernen Komposition so wichtig geworden, dass die Funktionsbindungen einer Musik, die auf dem Herzstück des gemeinsamen Dur-Moll-Systems basiert, zunehmend in Zweifel gezogen wurden. In der so genannten Zweiten Wienischen Waldorfschule wurde in diesem Kontext von "erweiterten" und letztlich "schwebenden" Tonwertbeziehungen gesprochen, die immer zwingendere Verweise auf harmonische Grundzentren verhältnismäßig machten.
Repräsentationswerke dieser maßgeblichen Etappe sind in der deutschsprachigen Komponistengeschichte mit Max Reger (Streichquartett d-Moll op. 74, 1903) oder Richard Strauss (Salome 1905) sowie in Österreich mit Gustav Mahler (Neunte Symphonie, 1910) oder Arnold Schönberg (Pelléas et Mélisande, 1902) zu bewundern, umrahmt von entsprechenden Manifestationen mit Alexander Skrijabin in Russland oder - selbst im Falle einer rebellischen Abstoßung - Erik Satie in Frankreich.
In dieser Zwickmühle suchen sie nach Wegen in eine "neue Musik". In den 1910er Jahren begann die Entwicklung der Neuen Musik sicherlich und vollzieht sich in zwei wichtigen Etappen bis zum verheerenden Zusammenbruch der Totalitarismen in Osten und Westen, dessen Fortsetzung jedoch ein gewalttätiges und schlagartiges Ende nahm.
In einer ersten "Phase des Erwachens", die sich in ihren jüngsten Erscheinungen bis Ende der 1920er Jahre erstreckte und sich bereits mit einer zweiten Phase der Konsolidierung um 1920 überschneidet hat, erfolgte eine Neuausrichtung fast aller essentiellen Kompositionsparameter als tiefgreifende und zwingende Folge der Krisensituation in der Moderne der Jahrhundertwende. Mit Sicherheit geschah das nach außen weitreichende Geschehen im Rahmen der Zweiten Wienischen Akademie, wo um 1910 der für das Musikpublikum zunächst sehr erschütternde Einstieg in die "freie Atonalität" erfolgte.
Dadurch wurden die wesentlichen kompositionellen Rahmenbedingungen ihrer herkömmlichen musikalisch-sprachlichen Verbindung entzogen und den Gehörsgewohnheiten auch trainierter Empfänger mit zunächst schwierig zu bewältigenden Aufgabenstellungen begegnet. Dies kommt nicht zuletzt in vielen skandalösen Konzerten im kleinen und großen Rahmen zum Ausdruck, so zum Beispiel 1913 im Saal des Musikvereins Wien aus Anlass der Aufführung der Orchesterwerke der Zweiten Wienischen Akademie.
Doch auch in der französischsprachigen Musik - nach den bahnbrechenden Leistungen einer neuen Tontechnik von Claude Debussy oder Maurice Ravel, die auch in Bezug auf die funktionale Harmonie auffallend entspannt war - kam die Lage während der Zeit in Paris des Russischsprechers Igor Strawinsky zu einem Höhepunkt: Vor allem die Entfremdung eines archaisch-rituellen Rhythmus mit bisher unvorhergesehenen Unregelmäßigkeiten und heftigen Schlagsequenzen in Le Sacre du printemps erregte sogar das Weltstadtpublikum der " Hetropole des neunzehnten Jahrhunderts ".
Die Premiere des Bundesballetts 1913 wurde zum Eklat, und die "Uraufführung des Bundesballetts 1913 zum Eklat. Diese Erscheinungen finden ein Gegenstück zu Béla Bartóks folkloristisch-archaischen Durchbrüchen (z.B. Allegrobaro Sz. 49, 1911 oder Der wundersame Chinesisch von 1918/19 mit einer skandalösen Aufführung in Köln) oder einige Zeit später in den Klangkörper-Kompositionen von Edgar Varèse, wie z. B. Imériques ( "1918-21/27") oder als erstes Schlagzeug-Ensemble-Stück in der Geschichte der Musik in der Ionisierung von 1929-1931. Die bahnbrechenden Energien dieser ersten Ausprägung einer neuen Musik des zwanzigsten Jahrhunders waren an Gewalttätigkeit und Störung kaum zu übersteigen.
Paul Hindemiths unbändige dissonante Komposition verursachte hier vergleichbare skandalöse Zustände - vor allem durch die selbstverständliche Einbeziehung von Musikphänomenen aus Unterhaltung und Tanz sowie aus dem Jazzbereich, zum Beispiel in der Klaviersitzgruppe 1922, die mit einer ebenso verwirrenden, fast maschinenähnlichen motorischen Aktivität im rythmischen Spektralbereich kombiniert wurde. Nach der für die kontinentale Aonalität von Theodor W. Adorno ins Spiel gebrachten Etappe einer wohl einmaligen Freiraum- und Kompositionsfreiheit musste eine Festigung der rhythmisch klingenden Innovationen erfolgen, die letztendlich auch eine Perspektive für die Zukunft aufgab.
Mit der retrospektiven Anpassung von stilistischen und formalen Elementen der Geschichte, die gleichzeitig einen Prozess der Entfremdung und Neubewertung durchlief, entstand eine international wirkende Aura, die sich bis heute in vielen Formen des Erscheinens widerspiegelt. Auf die erste Konsolidierungsmassnahme der Neuen Musik folgt eine nicht minder ernste Sekunde, als Schönberg 1921 im wienerischen Mödling zum ersten Mal die "Technik einer kompositorischen Arbeit mit 12 nur zueinander passenden Tönen" ankündigt.
Seine Ludus tonalis für Piano (1942), die auf der Grundlage von Bachs Wohltemperiertem Piano entstanden ist, bietet ein spätes und vorbildliches Beispiel für diese Verschmelzung einer neuen Theorie der Komposition, der objektiven Ansprüche und der historischen Verbindung. Selbstverständlich waren sowohl die Energien der ersten als auch die Konsolidierungsphase der zweiten Stufe der Neuen Musik weit verstreut und wurden von vielen Musikern außerhalb der Helden unterstützt.
Allerdings wurde die Entstehung dieses Konzentrationsprozesses der Neuen Musik durch die Grausamkeit des Nazi-Terrors und des Nationalstalinismus in seinem naturgemäßen Verlauf schlagartig zunichte gemacht, so dass die Lage bis spätestens Mitte der 1930er Jahre - im Einzugsgebiet der Sowjetunion bereits deutlich früher - vollständig wiederhergestellt werden konnte. Auf der einen Seite erfolgte unter dem Merkmal des "Entarteten" eine aggressivere Streuung bis zur Zerstörung der Repräsentanten der Neuen Musik.
Dies führte zur Auswanderung nahezu aller Wegbereiter der Neuen Musik - man denke nur an Schönberg, Strawinsky, Hindemith, Bartók, Warschau - sowie zur Verhaftung und Ermordung insbesondere von jüdischen Wegbereiter. Bevorzugtes Auswanderungsland waren die USA, die mit Charles Ives und Henry Cowell inzwischen auch ihren eigenen Weg in eine traditionsreiche Neue Musik mitgestalten.
Zugleich entwickelte sich eine junge, stark auf den spattrotischen Ausläufer ausgerichtete Generation von Komponisten, deren Repräsentanten - Richard Strauss oder Hans Pfitzner - sich auf unterschiedliche Art und Weisen dem System anschlossen und sich mit Wohlwollen nachdrücklich den Schönheitsmaximen der nationalsozialistischen Gesellschaft widmeten. Richard Trunk zum Beispiel trat 1931 in die NSDAP ein und wurde drei Jahre später Leiter der Münchener Hochschule für Musik, wo er bis zum Ende des Krieges wirkte.
Trunk selbst hat den Zyklus Feierstunde der neuen Frontlinie op. 66 für Hitler komponiert, aber auch junge Kompositionen wie Carl Orff und Werner Egk haben unter dem Dach der moderaten Moderne versucht, sich mit den Nazis abzustimmen.
Andererseits entschieden sich andere Kuenstler fuer die innerliche Auswanderung, die weit weg vom Musikleben in selbstgewählter Abgeschiedenheit und damit Ausgrenzung stattfand; so zum Beispiel der Sinfoniker Karl Amadeus Hartmann, der sich dann nachdruecklich fuer eine Wiederbelebung und Fortsetzung der Neuen Musik in der Geschichte der Nachkriegszeit aussprach. Genau das meinte das Erbe in der Kulturgeschichte der Musik nach 1945: In speziell errichteten Einrichtungen wie Darmstadt oder der Fortführung von Pflegeeinrichtungen für neue Musik wie der Donaueschinger oder in Radiosendern musste der Zusammenhang und die Aufgabe der Neuen Musik wiedergefunden und entwickelt werden.